
AMERZONE – The Explorer’s Legacy
Das Spiel basiert auf dem Original von Benoît Sokal, einem belgischen Comiczeichner und Game-Designer, der vor allem durch die Syberia-Reihe bekannt wurde. Das ursprüngliche Amerzone erschien 1999 und war Sokals erster Ausflug in die Welt der Videospiele – ein Projekt, das stilistisch und thematisch schon vieles vorwegnahm, was er später in seinen Werken weiterentwickelte. Das Remake wurde von Microids mit dem Ziel überarbeitet, die Vision Sokals in moderner Technik und mit verbessertem Zugang für heutige Spielende neu erlebbar zu machen – mit aktualisierter Grafik, verbesserter Steuerung und überarbeiteten Rätseln, aber bewusst im Geist des Originals gehalten.
Die Story – Ein Abenteuer ohne Pistole, aber mit Herz
Du schlüpfst in die Rolle eines namenlosen Journalisten, der einen sterbenden Entdecker in einem abgelegenen Leuchtturm besucht. Der alte Mann übergibt dir sein Vermächtnis: Eine letzte Mission in das geheimnisvolle Amerzone, ein fiktives südamerikanisches Land, in dem die „Weißen Vögel“ – eine sagenumwobene, vom Aussterben bedrohte Spezies – auf ihre Rettung warten.
Was wie ein klassisches „Bring X nach Y“-Abenteuer beginnt, entwickelt sich zu einer introspektiven Reise, die zwischen Umweltkritik, kolonialem Erbe und der Suche nach persönlicher Erlösung pendelt. Die Story wird dabei nicht durch bombastische Cutscenes erzählt, sondern durch Dokumente, Tagebücher, Gespräche und deine eigene Beobachtung. Es ist ein Spiel, das dich auffordert, nicht nur zu spielen, sondern zu lesen, zu hören – und zu fühlen.
Im Vergleich zu Spielen wie Syberia oder The Witness bietet Amerzone weniger Puzzletiefe, aber mehr Weltbindung. Es fühlt sich intimer an als Myst oder Obduction, weil die Geschichte konkreter verwoben ist. Gleichzeitig bleibt es mysteriöser als ein Firewatch, da du nie sicher weißt, ob du gerade Realität oder Legende erkundest.
Die Welt von Amerzone – Mystik in Sümpfen und Ruinen
Amerzone ist kein Ort auf der Landkarte – sondern ein Zustand. Das Spiel bringt dich durch dichte Sümpfe, verfallene Tempel, vergessene Außenposten und seltsame Maschinenruinen. Die Welt ist in ihrer Größe beschränkt, aber in sich geschlossen, atmosphärisch dicht und voller Details.
Eine meiner liebsten Sequenzen spielte sich in einem moosüberwucherten Observatorium ab. Es war still. Kein Gegner, keine Musik. Nur das Knarzen des Metalls, das Quaken von Fröschen und der Blick durch ein altes Teleskop auf einen leuchtenden See. Da dachte ich: „Genau deshalb spiele ich so etwas.“
Die Umgebungen bieten dir kleine Interaktionen – das Öffnen eines Fasses, das Umlegen eines Schalters, das Lesen eines Notizbuchs. Alles hat Gewicht. Alles könnte wichtig sein.
Kein Sprint, sondern ein Wandertempo
Amerzone ist kein Spiel, das dich an die Hand nimmt. Es gibt keine Wegpunkte, nur kleine Tutorials, keine Missionsmarker. Du musst beobachten, kombinieren, ausprobieren. Manche Rätsel sind angenehm logisch (z. B. die Steuerung deines Amphibienfahrzeugs), andere frustrieren durch ihre altmodische Trial-and-Error-Struktur.
Die Steuerung wurde für Controller angepasst, funktioniert aber nicht immer geschmeidig. Gerade beim Untersuchen von Objekten oder dem Wechsel zwischen Perspektiven kommt es zu leichten Verzögerungen oder hakeligen Übergängen.
Trotzdem bleibt das Spiel durch seine Vielfalt an Aktivitäten – Fahren, Schalterrätsel, Umgebungsanalysen – abwechslungsreich. Nur wer Tempo und Action sucht, ist hier an der falschen Adresse.
Positiv: Du kannst das zentrale Fahrzeug modular erweitern und so neue Gebiete erschließen – ein subtiler Fortschrittsreiz, der angenehm motiviert. Negativ: Die Spielmechanik erlaubt keine echten Fehlentscheidungen – gut für Neulinge, weniger spannend für Veteranen.
Grafik – Schön, aber kein Hingucker
Die grafische Neuauflage bringt Amerzone in die Jetztzeit – zumindest teilweise. Die Lichtstimmungen sind oft grandios, die Umgebung lebt von Farben, Kontrasten und organischem Design. Aber bei näherem Hinsehen offenbaren sich Limitierungen: Animationen wirken steif, Charaktermodelle sind eher funktional als beeindruckend, Texturen schwanken in der Qualität.
Besonders schade: Die Tiere – darunter natürlich die berühmten „Weißen Vögel“ – wirken in ihrer Darstellung oft leblos. Hier wäre mehr Liebe zum Detail wünschenswert gewesen, gerade bei einem Spiel, das die Beziehung zur Natur ins Zentrum stellt.
