
The Outer World 2
Arcadia, wir kommen!
Anstatt erneut durch die Halcyon-Kolonie zu streifen, verschlägt es uns diesmal nach Arcadia, eine isolierte Kolonie, die durch mysteriöse Raum-Zeit-Risse vom Rest des Universums abgeschnitten wurde. Als Agent des „Earth Directorate“ – einer Art interplanetarer Aufsichtsbehörde – sollen wir diese Anomalien untersuchen. Doch wie es bei Obsidian Tradition ist, läuft natürlich nichts nach Plan: Nach einer sabotierten Mission finden wir uns Jahre später in einer völlig veränderten Welt wieder, in der neue Machtblöcke wie „Auntie’s Choice“, „The Order of the Ascendant“ und „The Protectorate“ um die Vorherrschaft kämpfen.
Die Geschichte bleibt dabei ganz dem Geist des Vorgängers treu – scharfsinnig, sarkastisch und mit einer satten Portion Gesellschaftskritik. Während der erste Teil den absurden Kapitalismus aufs Korn nahm, beschäftigt sich The Outer Worlds 2 stärker mit Kontrolle, Religion und totalitären Systemen. Besonders die Protectorate-Fraktion wirkt dabei unheimlich aktuell – ein Spiegelbild unserer Zeit, verpackt in spacigem Sarkasmus.
RPG in Reinform
Hier hat Obsidian spürbar nachgelegt. Die Rollenspielmechaniken wurden überarbeitet und sind nun klarer strukturiert, ohne an Tiefe zu verlieren. Statt spezialisierter Unterkategorien gibt es nun ein vereinfachtes, aber flexibles Skillsystem, das auch Neueinsteiger nicht überfordert. Die Flaw-Mechanik kehrt zurück – diesmal mit echten Langzeitfolgen. Wer sich etwa als Kleptomane outet, verkauft zwar Diebesgut teurer, riskiert aber, unkontrolliert Objekte zu „entwenden“. Solche kleinen Details machen den Charakteraufbau wieder zu einem echten Experimentierfeld.
Auch das Kampfsystem wurde modernisiert: Mehr Bewegungsfreiheit, neue Manöver wie Doppelsprünge oder Slides und schnellere Begleiterfähigkeiten sorgen für ein dynamischeres Gefühl. In brenzligen Feuergefechten fühlt sich The Outer Worlds 2 deutlich flüssiger und kinetischer an – auch wenn die optionale Third-Person-Kamera noch etwas hölzern wirkt.
Dazu kommen kleine, aber clevere Neuerungen wie Gadgets, die Umgebungsrätsel und Erkundung erweitern. Statt gigantischer Open Worlds setzt Obsidian erneut auf kompaktere, handgemachte Gebiete – und das zahlt sich aus. Jede Region strotzt vor Details, Geheimnissen und humorvollen Nebenquests.
Begleiter & Dialoge
Was wäre ein Obsidian-RPG ohne seine Begleiter? Eines der größten Alleinstellungsmerkmale der Reihe war schon immer die Truppe an schrägen, liebenswerten (und manchmal moralisch zweifelhaften) Begleitern – und The Outer Worlds 2 führt dieses Konzept auf beeindruckende Weise fort. Diesmal begleiten uns bis zu sechs Charaktere, von denen jeweils zwei aktiv an unserer Seite kämpfen und kommentieren, was um uns herum passiert.
Besonders gelungen ist, wie dynamisch und reaktiv sich die Begleiter verhalten. Sie reagieren nicht nur auf Entscheidungen in Hauptquests, sondern auch auf Kleinigkeiten: einen gestohlenen Gegenstand, einen verpassten Dialog oder eine getroffene moralische Wahl. Entscheidet man sich beispielsweise für eine radikale Lösung im Konflikt zwischen zwei Fraktionen, kann das Vertrauen einzelner Crewmitglieder schwinden – oder sie wenden sich sogar zeitweise gegen den Spieler. Dieses reaktive Verhalten macht die Gruppe greifbarer und sorgt dafür, dass sich moralische Dilemmata wirklich nach etwas anfühlen.
Charakterlich ist die Bandbreite enorm. Neben dem stoischen Tristan Rao, der als Offizier der Protectorate an seinem Glauben und seiner Loyalität zu zerbrechen droht, gibt es etwa Edda, eine Ingenieurin mit anarchischem Humor und einem Hang zum Sarkasmus, die jede noch so ernste Mission mit ihren trockenen Kommentaren auflockert. Nyx, eine ehemalige Spionin der „Order of the Ascendant“, bringt dagegen philosophische Tiefe ins Spiel – ihr Weltbild ist von mathematischer Logik geprägt, was zu spannenden moralischen Diskussionen führt.
Besonders stark ist, wie sehr die Begleiter untereinander interagieren. Während einer langen Mission streiten sich Edda und Tristan beispielsweise offen darüber, ob es moralisch vertretbar ist, Menschen für den „großen Zweck“ zu opfern – mitten im Kampf, wohlgemerkt. Solche spontanen Dialoge lassen die Crew lebendig wirken und erinnern an die besten Momente aus Mass Effect 2.
Auch spielmechanisch haben die Begleiter mehr Gewicht. Jeder verfügt über spezialisierte Fähigkeiten, die sich im Kampf taktisch nutzen lassen – vom Schutzschild über EMP-Salven bis hin zu area-basierten Buffs. Im Gegensatz zum ersten Teil fühlen sich diese Aktionen nicht mehr wie Unterbrechungen an, sondern fließen dynamisch ins Gefecht ein. Außerdem lassen sich die Charaktere individuell ausrüsten und durch kleinere Talentbäume anpassen, was besonders in höheren Schwierigkeitsgraden einen echten Unterschied macht.
Dialogisch bleibt Obsidian seiner Linie treu: witzig, scharf und gesellschaftskritisch. Gespräche sind nicht nur reiner Expositions-Text, sondern entwickeln sich abhängig von unseren Entscheidungen, Skills und Begleitern – wer etwa über hohe Intelligenz oder Überzeugungskraft verfügt, erlebt teils völlig andere Gesprächsverläufe. Viele Nebenquests der Crew greifen tief in die Hauptgeschichte ein, und manche enden sogar mit dramatischen Konsequenzen für die gesamte Arcadia-Kolonie.
Grafik & Technik
Visuell ist The Outer Worlds 2 ein deutlicher Fortschritt. Die Umgebungen sind abwechslungsreicher, die Beleuchtung beeindruckt besonders auf Planeten wie Cloister, dessen Schneestürme und Eishöhlen zum Staunen einladen.
Obsidian bleibt seiner unverwechselbaren Ästhetik treu – eine Mischung aus retro-futuristischem 60er-Jahre-Design und knallbunter Science-Fiction-Satire. Doch diesmal wirkt alles stimmiger, detaillierter und atmosphärisch dichter.
Die Entwickler haben die Gelegenheit genutzt, um die verschiedenen Biome deutlicher voneinander abzugrenzen. Statt einheitlicher Welten bietet Arcadia nun eine echte visuelle Reise durch die Extreme:
- Paradise Island ist ein tropisches Paradies, das auf den zweiten Blick zum dystopischen Urlaubsresort mutiert. Überall flimmern Werbetafeln, während die Sonne auf gläserne Wolkenkratzer prallt – eine fast zynische Postkarte kapitalistischer Selbstgefälligkeit.
- Golden Ridge präsentiert sich als trockenes Ödland, in dem rostige Industrieanlagen und abgestürzte Schiffe eine bedrohliche Stille erzeugen. Hier erinnert das Spiel stark an die staubigen Westernmotive seines Vorgängers.
- Cloister, ein Planet im ewigen Schneesturm, setzt dagegen auf dramatische Lichtstimmungen: blendendes Weiß an der Oberfläche, mystisch schimmerndes Blau in den unterirdischen Eishöhlen. Die Art-Direction hier ist schlicht meisterhaft – fast schon Alien-haft kühl und beklemmend.
- Und dann ist da noch Praetor, ein urbaner Planet voller Neon, Dampf und Metall – quasi Bioshock trifft Blade Runner. Zwischen dunklen Gassen, Reklametafeln und gläsernen Regierungszentren pulsiert das Herz der Protectorate.
Jeder dieser Orte erzählt seine eigene Geschichte. Während The Outer Worlds noch relativ einheitlich wirkte, bietet der Nachfolger eine klare visuelle Identität für jede Region – sowohl thematisch als auch spielmechanisch. Paradise Island lädt zum Erforschen ein, Cloister fordert mit harscher Umweltmechanik heraus, Praetor überfordert mit Dichte und Neonlicht. Das sorgt für einen angenehm abwechslungsreichen Spielfluss, der Neugier immer wieder neu entfacht.
Auch technisch überzeugt dieser Stil: volumetrische Beleuchtung, saubere Texturen und ein dynamisches Wettersystem sorgen dafür, dass Arcadia nicht nur schön, sondern auch glaubwürdig wirkt. Ob man im Schneesturm die Silhouette eines Fabrikturms erahnt oder in der Hauptstadt von Praetor durch Hologrammregen spaziert – The Outer Worlds 2 beweist eindrucksvoll, dass Stil manchmal wichtiger ist als pure Grafikleistung.
Die drei Grafikmodi (Quality, Balanced und Performance) bieten auf der Xbox Series X solide Auswahlmöglichkeiten, auch wenn im Performance-Modus hin und wieder Framedrops auftreten. Zwei Abstürze in rund 30 Stunden Spielzeit trübten die Erfahrung nur leicht – technisch ist das Spiel weitgehend stabil.






