
Tempest Rising – Das Erbe von Command & Conquer
Inhalt: Zwei Fraktionen, ein Kampf ums Überleben
Die Kampagne von Tempest Rising startet in einer postnuklearen Welt, in der eine geheimnisvolle Ressource namens „Tempest“ den Schlüssel zur Macht darstellt. Zwei Fraktionen kämpfen erbittert darum: Die Global Defense Forces (GDF), eine Art futuristische UNO mit Stahlhelm-Ästhetik, und die Tempest Dynasty, eine radikale Organisation, die ein bisschen so wirkt, als hätte man die Bruderschaft von Nod aus C&C genommen und mit Cyberpunk-Elementen kombiniert.
Die erste Kampagne dreht sich um die GDF und bietet rund ein Dutzend Missionen, die mit klassischen RTS-Tugenden punkten: Ressourcen sammeln, Basis errichten, Einheiten bauen, Gegner zermalmen. Mal infiltrieren wir feindliche Stützpunkte, mal verteidigen wir unsere Stellung gegen eine Welle von Angreifern – mal erleben wir sogar kleine Story-Momente mit überraschend guter Vertonung. Ja, wirklich!
Eine kleine Anekdote: In Mission 4 wurde ich mit einem kleinen Squad hinter feindliche Linien geschickt. Nur mit ein paar Soldaten und einem Ingenieur bewaffnet, sollte ich einen Stützpunkt übernehmen. Statt frontal durchzubrechen, habe ich mich heimlich über eine kleine Seitenschlucht geschlichen, einen Wachposten ausgeschaltet und mir kurzerhand die gegnerische Kaserne gekapert. Es fühlte sich herrlich „oldschool“ und zugleich clever an – ein echtes RTS-Gefühl.
Klassisches RTS-Feeling trifft auf moderne Technik
Tempest Rising schafft etwas, das vielen RTS-Spielen der letzten Jahre misslungen ist: Es weckt sofort nostalgische Erinnerungen – ohne sich dabei wie ein verstaubtes Relikt anzufühlen. Als hätte man Command & Conquer aus den 90ern genommen, es einmal durch die Unreal Engine 4 geschleust und mit einem Schuss Qualitätskaffee serviert.
Schon beim ersten Match spürt man das vertraute Kribbeln: Man baut eine Raffinerie, sichert die Ressourcenzonen, klickt sich durch das ikonische Seitenleisten-Menü, das stark an das gute alte C&C: Tiberian Sun erinnert – und plötzlich ist man wieder 14, sitzt im Kinderzimmer, während der PC lüftet wie ein Kleinflugzeug.
Aber! Anders als die Klassiker bringt Tempest Rising eine moderne Steuerung mit: Einheiten lassen sich flott gruppieren, Hotkeys sind individuell belegbar, Gebäude können mit Upgrades angepasst werden – das alles fühlt sich angenehm geschmeidig an. Kein Herumgeklicke wie bei Red Alert 2, wo man oft hoffen musste, dass der Bauhof einen Millimeter weiter links steht.
Auch die Grafik ist kein Quantensprung, aber sie passt perfekt zum Stil: Militärisch, kühl, realistisch, mit tollen Lichteffekten bei Explosionen. Besonders nachts, wenn ein Luftschlag die Karte in ein oranges Flammenmeer taucht – das sieht nicht nur cool aus, das fühlt sich auch nach etwas an.
Stimmige Fraktionen mit unterschiedlicher Spielweise
Was Command & Conquer früher groß gemacht hat – GDI und Nod, die sich nicht nur optisch, sondern spielerisch massiv unterschieden – macht Tempest Rising ebenfalls richtig gut. Die beiden Hauptfraktionen, GDF und Tempest Dynasty, bieten völlig verschiedene Spielstile, die sich nicht nur in Optik und Lore, sondern vor allem im Gameplay deutlich bemerkbar machen.
Die GDF ist der „klassische“ Weg: Schweres Gerät, solide Panzer, klare Linien. Wer gerne Basisbau mit Schutzmauern kombiniert, seine Gegner mit Artillerie weichklopft und dann mit einer Panzer-Kavallerie durchbricht, wird sich hier sofort zu Hause fühlen. Es erinnert stark an die GDI aus Tiberian Dawn – stabil, robust, etwas träge, aber dafür mit enormer Schlagkraft.
Die Tempest Dynasty hingegen fühlt sich an wie ein Crossover aus Nod und einem Hauch StarCraft Zerg-Vibes: Taktisch flexibler, mit mobilen Einheiten, Psi-Kräften, Stealth-Mechaniken und fiesen Überraschungen. Sie lebt davon, den Gegner zu verwirren und aus dem Hinterhalt zu schlagen. Besonders stark sind ihre Support-Fähigkeiten – EMP-Felder, kurzzeitige Kontrolle über Feindeinheiten oder Bio-verseuchte Waffen. In einem Skirmish hatte ich plötzlich meine halbe Armee verloren, weil ein Tempest-Kommandant einen Virus losgelassen hat – der klassische „Was zur Hölle war DAS?!“-Moment.
Diese Asymmetrie sorgt für taktische Tiefe: Man muss umdenken, wenn man die Fraktion wechselt. Mit der GDF will man Stellungen halten und sich überlegen aufbauen. Mit der Dynasty setzt man auf Mobilität, gezielte Schläge und psychologischen Druck. Genau das war auch schon der Reiz von C&C – egal ob Tiberian Sun oder Red Alert 3 – die Fraktionen hatten Eigenheiten, die zu völlig anderen Spielverläufen führten. Und Tempest Rising bringt das mit Bravour ins Jetzt.
Die "Doktrinen" in Tempest Rising sind ein richtig spannendes Feature – sie bringen zusätzliche strategische Tiefe ins Spiel und erlauben es dir, deinen Spielstil innerhalb der Fraktion noch weiter zu spezialisieren. Man könnte sagen: Sie sind das Sahnehäubchen auf dem klassischen RTS-Kuchen. Das Prinzip erinnert ein bisschen an die Commander-Fähigkeiten aus Company of Heroes oder die Generäle in C&C Generals: Je nachdem, welche Doktrin du wählst, bekommst du spezielle Einheiten, Upgrades oder Fähigkeiten, die deinen gesamten Spielverlauf beeinflussen.
Die Schattenseiten des C&C Ziehsohn
So sehr Tempest Rising das Herz vieler RTS-Fans höherschlagen lässt, gibt es doch ein paar Ecken und Kanten, an denen man sich regelmäßig stößt. Diese Schwächen sind nicht unbedingt dealbreaker – aber sie werfen einen aus dem Spielflow, gerade wenn man sich in einem schön aufgebauten Match verliert.
Wer von modernen RTS-Spielen wie Iron Harvest oder selbst Company of Heroes 2 kommt, wird bei Tempest Rising schnell merken: Die Animationen sind nicht unbedingt das, was man als „State of the Art“ bezeichnen würde. Infanteristen bewegen sich oft hölzern, Panzertürme drehen sich manchmal mit einer Verzögerung, die an die Latenz eines 2000er-Modems erinnert, und Explosionen sehen aus wie aus einem Fan-Mod für C&C Generals.
Man merkt, dass Tempest Rising noch jung ist – das Balancing zwischen den Fraktionen fühlt sich manchmal unausgegoren an. Besonders auffällig ist das bei den Spezialeinheiten und Support-Tools. Während die GDF eher auf klassische Feuerkraft setzt, kommt die Tempest Dynasty mit Psi-Kräften und Tech-Spielereien um die Ecke, die einem manchmal den Eindruck vermitteln, sie könnten mit einem Fingerschnippen eine komplette Basis auslöschen.
In einem Skirmish-Match wurde ich beispielsweise mit einem GDF-Aufbau überrannt, weil der Gegner ein Kombo-Angriff mit getarnten Einheiten und einem Psi-Störfeld gestartet hat – meine Einheiten standen wie paralysiert rum, während seine Elite durchmarschierte.
Obwohl der Multiplayer-Modus grundsätzlich funktioniert, wirkt er aktuell noch wie ein Gerüst, das auf seinen Innenausbau wartet. Die Matchmaking-Zeiten sind lang, es fehlt an Modi-Vielfalt, und auch die Community ist noch recht überschaubar – was zu Wiederholungsspielen gegen dieselben Gegner führen kann. Das ist okay, wenn man sich kennt und die Matches Spaß machen. Aber es verhindert den Aufbau einer lebendigen, sich entwickelnden Multiplayer-Szene.
Ein Freund meinte treffend: „Es fühlt sich ein bisschen an wie die LAN-Lobby eines Spiels, das noch gar nicht offiziell draußen ist.“ Und ja, der Vergleich hinkt nicht. Tempest Rising will ein kompetitives RTS sein – aber dafür braucht es mehr als funktionierende Netzwerktechnik: Es braucht Anreize, Rangsysteme, Events – und vor allem: Spieler. Und da muss noch was kommen.
